Abstrakt:
Die geografische Sicherheitslage der Türkei wurde durch die Intensivierung ihres Engagements in benachbarten Regionen, besonders dem Nahen Osten, neu definiert. Der arabische Frühling („das arabische Erwachen“) und nun auch die Syrien-Krise forder(te)n jedoch nicht nur die autoritären Regime, sondern ebenso die türkische außenpolitische Strategie heraus.
hier geht es zu einer gekürzteren und etwas vereinfachten Version
Diese Strategie basierte weniger auf dem Prinzip der Demokratieförderung, sondern zielte vielmehr auf wirtschaftliche Kooperation mit den existierenden Regimen ab. Die Aufstände in der arabischen Welt kreierten insofern ein Dilemma zwischen einer ethisch ausgelegten Außenpolitik und den nationalen Interessen.[1] Inmitten des Flusses von geopolitischen Restrukturierungen in einer der weltweit instabilsten Regionen versuchen Eliten der türkischen Außenpolitik neue Strategien zu entwickeln, um dieses Dilemma zu überwinden. Einem steigenden Eifer regionale Probleme zu lösen und einer sinkenden Sicherheitsorientierung, steht die Türkei nun vor zwei Dimensionen: Die normative und die realpolitische Dimension der türkischen Außenpolitik.
Die türkische Außenpolitik, die seit dem Regierungsantritt der
islamisch konservativen AKP im November 2002 deutlich neue Akzente gesetzt hat,
beruht auf dem Konzept des jetzigen Außenministers, dem wichtigsten Architekten
der türkischen Außenpolitik und Politologieprofessors Davutoğlu. Mit seinen Konzepten
der „Strategische(n) Tiefe“ und „Zero-Problem-Politik mit den Nachbarstaaten“
brachte Davutoğlu zum Ausdruck, dass der Wert einer Nation auf ihrer
geostrategischen Lage und ihrer historischen Tiefe beruht. Nach Davutoğlu ist die
Türkei mit beiden Gütern ausgestattet. Demnach sei die Türkei besonders im
Hinblick auf ihre historischen und geopolitischen Einflusszonen ein wichtiger
internationaler Funktionär im Zentrum verschiedenster Regionen[2]:
Dem Balkan, dem Nahen Osten, Kaukasus, dem kontinentalen Europa, Nordafrika,
Südasien und inmitten des Schwarzen-, des Kaspischen Meeres und dem Persischen
Golf.
Die Konnotationen der „Strategischen Tiefe“ beinhalten ein
verstärktes, kooperatives Engagement in
alt-osmanischen Staaten, deren Völker die „Rückkehr“ der Türkei wahrscheinlich
willkommen heißen würden, mit besonderem Fokus auf Syrien. Neue Verbündete wie
die Schwellenländer China und Indien, oder ehemalig entfremdete Staaten wie
Russland und Iran sollen helfen, die Abhängigkeitswaage der Türkei zum Westen
zur Balance zu bringen. Ferner soll die Zusammenarbeit mit Russland und Serbien dafür sorgen,
dass die Türkei eine intensivere Verantwortung für die Stabilität im Balkan
entwickelt. Die Rolle der Türkei soll in der islamischen Welt betont werden,
und historische Beziehungen zu Afghanistan, Pakistan und sogar Malaysia erneuert
und aufgefrischt werden. [3]
Während Kritiker der AKP-Regierung aufgrund dieses strategischen
Paradigmenwechsels die Abkehr vom Westen und neoosmanischen Hegemonialismus in
den Osten vorwerfen, applaudierten ihre Befürworter den offenen Aktivismus in
den Nachbarländern. [4]
Die Türkei, die also jahrzehntelang den Nahen Osten vom Fernen passiv
beobachtet hat findet sich nun vor den Dynamiken dieser Region und ihren
Realitäten. Die heterogenen Resultate des politischen Erdbebens im Nahen Osten
brachten sowohl die EU, wie auch die Türkei zum Rütteln und zwangen diese zur
Erörterung und Umstrukturierung ihrer traditionellen Strategien in dieser
Region. Einige Staaten (z.B. Tunesien) befinden sich vielmehr in einem
Demokratisierungsprozess als wiederum andere, die Formen autoritärer
Neugestaltungen vorweisen (Ägypten), während andere sich zurückhaltend in
Richtung Reform bewegen (Marokko). Die Zukunft der Staaten Bahrain, Libyen,
Syrien oder Jemen bleibt noch ungewiss.[5]
Fest steht jedenfalls dass eine Rückkehr zum Status quo ante auszuschließen
ist. In Anbetracht dessen, dass Syrien bisher als das
Aushängeschild/Paradebeispiel des „Null-Probleme mit den Nachbarstaaten“-Konzeptes
galt, hat der politische Wandel im Nahen Osten gezeigt, dass die regionale
politische Kultur noch fern von Konsolidierungen ist und zweifelsohne mit
weniger Stabilität zumindest in der kurzen Frist zu rechnen ist.[6]
Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben Syrien und die Türkei durch
mehrere bilaterale Abkommen, der Genehmigung von Visa-Erleichterungen und der
Verbesserung politischer, ökonomischer und sozialer Beziehungen die Seite
langjähriger Streite umgeblättert. Angesichts der Komplexität der Situation, in
der sich die Türkei im Zusammenhang mit der syrischen Krise befindet,
erscheinen zwei konkurrierende Argumente bezüglich der Haltung Ankaras: Während
einige behaupten, dass die türkische Politik sich aggressiv gegenüber dem
Assad-Regime unter der Ausnutzung eines humanitären Vorwandes für den Ausbau
einer größeren Hebelwirkung im expandierenden regionalen politischen Kalkül
verhalte, beschuldigen andere Ankara dem Mangel an Entschlossenheit wegen, die
eigentlich zur Beendigung der „Brutalität“ des Regimes gegen das eigene Volk,
der Türkei zumutbar wäre. Der Fall Syrien hat zumindest dafür gesorgt, dass die
türkische politische Elite sich ernsthafte
Gedanken über den Umgang mit dem Assad-Regime gemacht hat. Analysten,
Journalisten[7]
und Think Tanks gaben zum Ausdruck, dass die Türkei nicht mehr Seite an Seite
mit autoritären Regimen in der Region zusammenarbeiten kann und forderten eine
ernsthafte Revision der „Zero-Problems“-These des jetzigen Außenministers.
Die komplizierten und oft missverstandenen Dynamiken hinter der
Syrien-Krise wurden in einem Bericht der Internationalen Organisation für
strategische Forschung (USAK) angesprochen und bearbeitet. 6 Empfehlungen
wurden der Regierung dargelegt[8]:
1-
Umfassende Kommunikationskanäle
mit der syrischen Opposition sollten entwickelt werden, unabhängig von ihrer
politischen, konfessionellen oder religiösen Zugehörigkeit
2-
Die Türkei solle eine konstruktive
Rolle für die Einheit sehr unterschiedlicher Gremien des Syrischen
Nationalrates oder der Freien Syrischen Armee spielen.
3-
Auf ein unilaterales Handeln in
jeder Art von militärischer Intervention verzichten, währenddessen aber ein
wachsames Auge auf die syrische Krise halten.
4-
Einer multilateralen und
multidimensionalen Strategie folgen, um die Krise zu lösen.
5-
Jegliche resultierenden
Fragmentierungen oder territoriale Spaltungen spielten gegen türkische
nationale Interessen. Insofern sollte auf die Bildung einer großen Koalition
abgezielt werden, falls sich die internationale Gemeinschaft für eine
Intervention entscheidet. Unter keinen Umständen sollte Türkei die
Führungsrolle internationaler Truppen gegen Syrien spielen.
6-
Im öffentlichen Diskurs sollte
die Türkei sehr vorsichtig und differenziert mit der Krise umgehen, da die
übermäßige Rhetorik dem Ansehen der Türkei in der Region schaden könnte.
Obwohl die Empfehlungen gültig sind sollte angemerkt werden, dass
die Einflusskraft der Türkei sehr beschränkt ist. Sie befindet sich in einer
sehr schwierigen Position. Während versucht wird, wirtschaftliche und
sicherheitspolitische Interessen aufrechtzuerhalten, wird Ankara schwierige
Entscheidungen treffen müssen. Während eine anhaltende Krise die Türkei dazu
drängen wird, ihre militärischen und ökonomischen Mittel zur syrischen Grenze
zu mobilisieren, wird eine Verschlechterungen der Beziehungen zu Iran
wahrscheinlich zu beträchtlichen wirtschaftlichen Verlusten und einer enormen
Belastung der Erdöl- und Erdgaszuflüsse in die Türkei mit sich bringen.[9]
Angesichts der Tatsache, dass die Region ein Knotenpunkt wichtiger globaler
Akteure wie Russland, Iran, der EU und den Vereinigten Staaten ist und wir uns
in einer bipolaren Struktur als Fragment des Kalten Krieges befinden, steht die
Türkei vor einer wichtigen Herausforderung, die weit über „Null-Probleme“
hinaus geht.
[1]
Turkey and the Arab Spring: Between Ethics and Self-Interest
[2]
Hans Seidel Stiftung, Die neue türkische Außenpolitik, http://www.hss.de/politik-bildung/themen/themen-2012/die-neue-tuerkische-aussenpolitik.html
[3] Understanding
Turkey’s Foreign Policy Through Strategic
Depth, Joshua W. Walker, Transatlantic Academy
[4]
Zehn Jahre AKP, Eine Retrospektive auf Außen-, Innen-, und Kommunalpoltitik,
Charlotte Jopien (Hg.), Ludwig Schulz
[5]
Turkey and the Arab Spring, Implications for Turkish Foreign Policy from a
transatlantic perspective, Foreword, GMF, Nathalie Tocci
[6] Turkish Review, May-June 2012, Syria is not just
Syria: The nexus of regional and global powers explained, Isa Afacan (Zirve
University)
[7]
sie z.B. Ömer Taşpınar, „Zero-Problems With This Syria?“, Today’s Zaman, 25.
April 2011
[8] USAK Raporları,
No.12-02: "Kapıdaki Kriz Suriye: Uluslararası Yaklaşımlar ve Türkiye için
Öneriler” Basın Tanıtım Toplantısı, Türkiye icin öneriler
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